Weekly Wisdom

Kränkungen.

Welche Formen der Kränkung es gibt, was Kränkungen mit uns machen und wie wir damit umgehen können.

1.651 Wörter / 9 Minuten Lesezeit

von | Apr. 11, 2025

Die unterschiedlichen Gesichter der Kränkungen.

In einem Team-Meeting präsentierst du deine Idee für ein zukünftiges Projekt. Dein Vorgesetzter macht eine abwertende „lustige“ Bemerkung. Mehrere Kollegen lachen.

Eine langjährige Freundin macht ein großes Fest zu ihrem runden Geburtstag. Alle aus der gemeinsamen Clique sind eingeladen, du nicht.

Du engagierst dich beruflich weit überdurchschnittlich, machst viele Überstunden, übernimmst Verantwortung und kommunizierst dein Interesse an der vakanten Führungsposition im Unternehmen. Den Job bekommt der mit dem Chef befreundete Kollege mit geringerer Qualifikation, weniger Erfahrung und mittlerem Engagement.

Der Termin für die Familienfeier wird dir kommuniziert, ohne dich in die Entscheidungsfindung einzubeziehen. Du hast den Eindruck, die anderen interessiert es nicht wirklich, ob auch Zeit hast und dabei sein kannst.

Formen der Kränkung

Ob im beruflichen oder privaten Kontext, Kränkungen sind ein Alltagsthema. Es betrifft uns alle.

Naomi Eisenberger, eine der einflussreichsten Forscherinnen im Feld „sozialer Schmerz“, dem emotionalen Erleben von Ablehnung, Ausgrenzung und Kränkung, hat dessen neurobiologische Konsequenzen untersucht. Nach ihren Erkenntnissen könnten Kränkungen dieselben Gehirnareale wie physischer Schmerz aktivieren. Gekränkt werden kann weh, seelisch und vielleicht auch körperlich.

Warum können Kränkungen so tief verletzen?

Das Bedürfnis nach Zugehörigkeit. Dieser Wunsch ist evolutionär zutiefst verankert. In früheren Zeiten hatten Menschen, die ausgeschlossen wurden, niedrigere Überlebenschancen. Wir brauchen Zugehörigkeit zu Gruppen wie Nahrung und Schlaf. Nicht gehört zu werden oder nicht eingeladen zu werden kann als Ausschluss aus der sozialen Gruppe gesehen werden. Die Aussage kann sein: Du bist nicht wichtig. Deine Meinung interessiert uns nicht. Du gehörst nicht dazu. 

Jede Kränkung ist Kommunikation. Paul Watzlawick: „Man kann nicht nicht kommunizieren, denn jede Kommunikation (nicht nur mit Worten) ist Verhalten und genauso wie man sich nicht nicht verhalten kann, kann man nicht nicht kommunizieren.“ Auch jedes Verhalten (Nicht-Einladung, Auslachen, Nicht-Beförderung) ist Kommunikation und hat eine Message.

Wir spiegeln auch negative Kommunikation.  Laut Bauer werden beim Beobachten von anderen Menschen die Spiegelneuronen in unserem Gehirn aktiv. Dadurch verbinden wir uns emotional mit ihnen. Diese bilden die biologische Grundlage von Empathie, Resonanz und Mitgefühl hat auch direkte Relevanz für das Thema Kränkung. Der Mensch ist existenziell auf Resonanz angewiesen. Wir brauchen Rückmeldung, gesehen und emotional verstanden zu werden. Wenn uns jemand ignoriert, verletzt oder ausschließt, bricht die Resonanz ab, nach der unser Gehirn „verlangt“. Kränkungen können somit als Resonanzverlust interpretiert werden. Laut Bauer ist der Mensch grundlegend beziehungsorientiert. Kränkungen sind deshalb mehr als oberflächliche Missverständnisse – sie haben manchmal dieselbe Wirkung wie Bindungsabbrüche. Das erklärt, warum Kränkungen oft tief sitzen und uns nachhaltig belasten.

Subjektiv – objektiv. Wardetzki unterscheidet zwischen Subjektiven Kränkungen (durch Interpretation) und Objektiven Verletzungen (z. B. respektlose Behandlung). Diese Unterscheidung hilft, besser zu entscheiden: „Reagiere ich über – oder wird hier meine Würde wirklich verletzt?“

Wie können wir damit umgehen?

Die Reaktion. Die Kränkung entsteht nicht nur durch das Ereignis selbst, sondern durch das, was wir daraus machen. Das Verhalten und die Kommunikation der Person oder Gruppe ist die Aktion, aber entscheidend ist, was wir daraus machen und wie wir reagieren. Laut Wardetzki sind häufige Reaktionen Rückzug, Schweigen, Wut, Grübeln, Selbstzweifel, Überanpassung, Angriff oder Verdrängung. 

Das Ziel. Wardetzki beschreibt ein zentrales Ziel im Zusammenhang mit Kränkungen: Ein Selbstwertgefühl zu entwickeln, das nicht von der Anerkennung anderer abhängig ist. Ein Gefühl innerer Würde zu haben, das auch Kränkungen durch andere da ist. Sie beschreibt auch mögliche Verhaltensweisen, wie man mit Kränkungen umgehen kann:

– Die Kränkung benennen und anerkennen („Ja, das hat mich getroffen.“), weder bagatellisieren noch überbewerten.

– Selbstfürsorge entwickeln statt in der Opferrolle zu verharren

– Versuchen, die Perspektive zu wechseln und alternative Interpretationen der Situation zulassen

– Den inneren Selbstwert stärken: ich bin wertvoll, auch wenn ich nicht befördert werde oder nicht nach meiner Meinung gefragt werde.

– Handlungsfreiheit zurückerlangen: ich entscheide, wie ich darauf reagiere.

Fazit

Kränkungen sind seelische Herausforderungen, die auf unsere innersten Bedürfnisse zielen: gesehen, gehört, respektiert, verbunden zu sein.
Der Weg damit umzugehen, führt über Selbstwahrnehmung, Selbstfürsorge und innere Souveränität – nicht über Eskalation, Rückzug oder Verdrängung.

 

Quellen und inspirierende Literatur:

Bauer, Joachim (2006): Warum ich fühle, was du fühlst. Intuitive Kommunikation und das Geheimnis der Spiegelneuronen. München: Heyne.

Eisenberger, Naomi (2014): Social Pain and the Brain: Controversies, Questions, and Where to Go from Here. Annual Review of Psychology, Volume 66.

Haller, Reinhard (2015): Die Macht der Kränkung. Salzburg: Red Bull Media House.

Wardetzki, B (2004): Ohrfeige für die Seele: Wie wir mit Kränkungen und Zurückweisungen besser umgehen können. München: Deutscher Taschenbuchverlag.

Watzlawick, Paul (1998): Anleitung zum Unglücklichsein. München: Piper.

 

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Kognitive Verzerrungen / Cognitive Bias:

Was man darunter versteht, welche man kennen sollte und wie sie unsere Wahrnehmung, unser Denken und unser Verhalten beeinflussen.

 

678  Wörter / 4 Minuten Lesezeit

von | Apr. 11, 2025

Wer weiß es besser? Aus dem Alltag.
Die Diskussion ist gewohnt angeregt. Das aktuelle Thema liegt im Bereich „Allgemeines“, niemand der anwesenden Diskutanten bringt besondere Fachkompetenzen oder intensive berufliche Erfahrungen im Themenfeld mit. Zwei aus der Runde nehmen mit vollster Überzeugung gegensätzliche Positionen ein und verteidigen diese hitzig. Beide sind absolut davon überzeugt, die Situation richtig einzuschätzen und beharren auf ihrem Standpunkt. Die Emotionen gehen hoch, die Diskussionskultur ist schwierig. Wer liegt richtig? Oder liegt eventuell keiner der beiden richtig? Oder beide in Teilbereichen? 
Für die psychologischen Prozesse dahinter gibt es einige Erklärungen. 
Was versteht man unter Kognitiven Verzerrungen?
Kognitive Verzerrungen oder Cognitive Bias ist ein Begriff aus der kognitiven Psychologie (lat. cognoscere: wissen, wahrnehmen).  Generell geht es in diesem wichtigen Bereich der Psychologie um mentale Prozesse wie Wahrnehmung, Gedächtnis, Denken, Sprache und Entscheidungsfindung. Der Fokus liegt darauf, wie Menschen Informationen wahrnehmen, verarbeiten, speichern und anwenden.

Kognitive Verzerrungen sind systematische Denkfehler, die unbewusst und automatisch ablaufen. Sie verzerren unsere Wahrnehmung der Realität, unsere Beurteilungen der Situation und unser Entscheidungen. Verstärkt treten sie unter Stress, Müdigkeit oder Unsicherheit auf, aber nicht nur dann.

Welche sollte man kennen und warum?
Laut John Manoogian III beispielsweise gibt es über 180 (!) kognitive Verzerrungen, bekannt als der Cognitive Bias Codex. Es handelt sich dabei um eine visuelle Darstellung in Form eines Kreisdiagramms, die unterschiedlichste Cognitive Biases kategorisiert und organisiert. Welche sind besonders weit verbreitet? Confirmation Bias, Status Quo Bias, Groupthink, False Memory Bias, Overthinking sind nur einige davon. Im oben genannten Beispiel könnten der Overconfidence Bias (Selbstüberschätzung) oder der Dunning-Kruger-Effekt relevant sein. Overconfidence Bias besagt, dass Menschen dazu neigen dazu, ihr eigenes Wissen oder ihre Fähigkeiten zu überschätzen. Beim Dunning-Kruger-Effekt (Unwissenheit in Kombination mit Selbstüberschätzung) steht im Mittelpunkt, dass Menschen mit geringem Wissen oder Kompetenz in einem Bereich ihre Fähigkeiten überschätzen, während Experten ihre eigene Kompetenz oft unterschätzen. Auch Dogmatismus könnte in Frage kommen, d.h. ein starres Festhalten an eigenen Überzeugungen und dem eigenen Weltbild. Die persönliche Perspektive kann nicht hinterfragt werden.

Warum macht es Sinn, über kognitive Verzerrung Bescheid zu wissen?

Die Relevanz von Cognitive Biases für unseren Alltag ist hoch. Wer über kognitive Verzerrungen informiert ist, kann die eigene Wahrnehmung bewusster gestalten, bessere Entscheidungen treffen und Manipulationen durch andere erkennen. Kommunikation gelingt besser, in Konflikten kann die Lösung leichter gelingen.  

 

Quelle:

Kahnemann, Daniel: Schnelles Denken, langsames Denken (2011)

Manoogian, John: Cognitive Bias Codex 

Watzlawick, Paul: Wie wirklich ist die Wirklichkeit. (1976)

David Robson: The Intelligence Trap (2019)